Was Gott tut, das ist wohlgetan

Reihe „Geistliches Lied“ – Dreifaltigkeitskirche München – 12.6.24

 

1) Was Gott tut, das ist wohlgetan,
es bleibt gerecht sein Wille;
wie er fängt seine Sachen an,
will ich ihm halten stille.
Er ist mein Gott,
der in der Not
mich wohl weiß zu erhalten;
drum lass ich ihn nur walten.

2) Was Gott tut, das ist wohlgetan,
er wird mich nicht betrügen;
er führet mich auf rechter Bahn;
so lass ich mir genügen
an seiner Huld
und hab Geduld,
er wird mein Unglück wenden,
es steht in seinen Händen.

3) Was Gott tut, das ist wohlgetan,
er wird mich wohl bedenken;
er als mein Arzt und Wundermann
wird mir nicht Gift einschenken
für Arzenei;
Gott ist getreu,
drum will ich auf ihn bauen
und seiner Güte trauen.

4) Was Gott tut, das ist wohlgetan,
er ist mein Licht und Leben,
der mir nichts Böses gönnen kann;
ich will mich ihm ergeben
in Freud und Leid,
es kommt die Zeit,
da öffentlich erscheinet,
wie treulich er es meinet.

5) Was Gott tut, das ist wohlgetan;
muss ich den Kelch gleich schmecken,
der bitter ist nach meinem Wahn,
lass ich mich doch nicht schrecken,
weil doch zuletzt
ich werd ergötzt
mit süßem Trost im Herzen;
da weichen alle Schmerzen.

6) Was Gott tut, das ist wohlgetan,
dabei will ich verbleiben.
Es mag mich auf die raue Bahn
Not, Tod und Elend treiben,
so wird Gott mich
ganz väterlich
in seinen Armen halten;
drum lass ich ihn nur walten.

 

Es empfiehlt sich, einen lyrischen Gebetstext, in unserem Fall als Lied vertont, zunächst einmal ganz spontan auf sich wirken zu lassen. Lyrik ist zwar der äußeren Sprachgestalt nach strenge Form, doch die formgebundene Sprache spricht aus dem Herzen. Sie drückt schwer Fassbares aus. Sie bringt die oft vielfältigen, oft gegensätzlichen Empfindungen des lyrischen Ich ins Wort. Deshalb ist das Empfinden unseres Herzens der einem Gedicht gemäße Resonanzraum.

Deshalb frage ich Sie: Wie erging es Ihnen, als Sie gerade die 4 Strophen dieses bekannten Liedes hörten? Wir können in unserem Rahmen hier nicht mit einer Anhörrunde beginnen. Daher möchte ich Ihnen meine beiden Spontanreaktionen mitteilen:

Mein erster Eindruck: Wird da nicht zu einseitig die „Ergebenheit“ betont? Soll man sich denn in jede widrige Situation einfach „stille“ ergeben? Ist nicht der Glaube die Haltung von aktiven, widerständigen Menschen? Mir scheint: „Widerstand und Ergebung“, dieses Doppel-Motto charakterisiert doch viel treffender den christlichen Glauben! Die paradoxe Verschränktheit des Aktiven und Passiven, die sich zB in den Gefängnisaufzeichnungen Dietrich Bonhoeffers wie ein roter Faden durchzieht, bestimmte auch das Leben Jesu. Er hat sich mit aller Leidenschaft und gegen massive Widerstände für die Botschaft vom barmherzigen und nahen Gott eingesetzt, hat sich dadurch der Ablehnung und tödlicher Feindschaft ausgesetzt und sich am Ölberg erst nach einem dramatischen Gebetskampf in den Kreuzestod ergeben. Anfangs hatte er einen ganz anderen Traum – nämlich die Bekehrung ganz Israels zu seinem Abba! Und das war ein ganz und gar aktives „Projekt“!

Meine zweite Spontanreaktion: Mir stieß der enorme Kontrast zwischen der eingängigen Melodie und den harten Erfahrungen auf, die der Text zur Sprache bringt: „Not, Tod, Elend, Leid, Unglück“. In einer ausgelassenen Strophe ist auch noch vom „bitteren Kelch“ die Rede. Schlimmes und Schweres wird hier in eine leicht singbare und über Jahrhunderte hin sehr beliebte Es-Dur-Melodie gegossen. Passt ein solch gefälliger Ohrwurm zu dem schroffen Inhalt?

Und doch nur ein scheinbarer Widerspruch: Der Text und die Melodie stimmen zusammen, weil beide aus einer tiefen Glaubenshaltung erwachsen. Der biblische Glaube stellt sich den Widersprüchen des Lebens und den Katastrophen der Geschichte, er ist geradezu aus Katastrophenerfahrungen geboren! Denken wir an die Exilserfahrung Israels: Fern des verheißenen Landes und ohne kultisches Zentrum – der Tempel in Jerusalem war zerstört – entdeckte eine Gruppe von inspirierten Exilanten den Gott Israels als den einzigen Gott des Himmels und der Erde. Und Jahrhunderte später in der Jesusbewegung: Für den engsten Anhängerkreis brachen alle Messiashoffnungen durch den Kreuzestod Jesu jäh in sich zusammen. Doch das völlig unerwartete Ereignis der Auferstehung wurde zur Geburtsstunde erneuerten, vertieften Glaubens! Mit der Auferstehung bestätigte nämlich Gott selbst das gesamte Leben Jesu. Der Auferstandene wurde jetzt erst zum „Christus“, zum erhöhten Gottessohn und Retter aller Menschen.

Meine kritischen Anfangsreaktionen schwanden noch mehr, als ich mich mit den Entstehungsbedingungen unseres Liedes beschäftigte. Jeder Text ist ja immer ein Kommunikationsangebot in und für eine bestimmte Lebenssituation. Das in Worte Gefasste wird erst dann recht verstanden, wenn wir um die kommunikative Situation wissen, in die hinein diese Worte gesprochen wurden.

Unsere Zeilen hat ein sechsundzwanzigjähriger Philosophiedozent in Jena im Jahre 1675 für seinen schwer erkrankten, drei Jahre älteren Freund gedichtet. Samuel Rodigast, der Autor, wollte seinem Musiklehrer, dem Jenaer Kantor Severus Gastorius, der sterbenskrank darniederlag, Zuversicht und Hoffnung zusprechen. Als schwerkranker und hilfloser Mensch kann man nur eines tun: die Schmerzen innerlich annehmen. Denn wer sich wehrt, verkrampft sich und vergrößert die Schmerzen. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Aktive, hoffend-vertrauende „Ergebenheit“ ist das beste Heilmittel in solch einer Situation! In einer der beiden ausgelassenen Strophen wird Gott als „Arzt und Wundermann“ angerufen, der sicher nicht „Gift einschenken“ würde. Heilung für leibliche und seelische Schmerzen kann nur gelingen, wenn wir im Vertrauen auf unsere Selbstheilungskräfte mit einem kundigen Arzt oder Therapeuten zusammenwirken! Jesus versteht sich bekanntlich als Arzt, den die Kranken, nicht die scheinbar Gesunden brauchen (Mk 2,17 par.). Er heilt, er mindert physisches Leiden, aber er lebt auch vor, dass man dem unabänderlichen Leid nicht ausweichen darf – und zwar in aktiver Ergebenheit!

Über die Entstehung der Melodie gibt es unterschiedliche Versionen. Sicher ist, dass sie von Severus Gastorius selbst stammt. Manche sagen, er habe sie noch auf dem Krankenlager komponiert und habe sich das Lied für sein Begräbnis gewünscht. Andere meinen, sie sei erst nach seiner unerwarteten Genesung entstanden. Jedenfalls ist unser Lied sehr bald im Druck erschienen und wurde im evangelischen Raum zu einem beliebten Begräbnislied. Die Jenaer Sänger mussten es ihrem genesenen Kantor regelmäßig vorsingen. Ich vermute, die eingängige Melodie entstand erst nach der Genesung, denn sie strahlt das schon überwundene Leid aus. Der weltbekannte Landshuter Künstler Fritz König, der eine sehr schwere Kindheit hatte, meinte einmal, mal müsse in jedem Kunstwerk das verborgene Leid entdecken. Schwere Krankheiten können unser Inneres vergiften: mit Selbstvorwürfen oder Anklagen gegen einen dunklen, grausamen Gott, der guten Menschen Schlimmes zumutet – was dann in den Strudel tiefer Depressionen oder in eine düstere, verbitterte Weltsicht hineinziehen kann. Diese ganze Wucht schwindenden Vertrauens und möglicher Verzweiflung steckt auch in unserem Lied!

Der Text ist in seiner Grundstimmung vor allem durch den leitmotivisch wiederholten ersten Vers geprägt. „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ erinnert und intensiviert die zentrale biblische Botschaft von der Treue Gottes. Inmitten von Krankheit und Not sagt der Glaube:  Gott wird sich in „Freud und Leid“ als „Licht und Leben“ erweisen. Er wird mich behüten und mit väterlichem Arm schützen. Der Name Gottes, der Mose am Dornbusch offenbart wurde, ist eine ermutigende Zusage in auswegloser Lage. Denn er besagt: Ich werde mit dir sein! Ich werde mich als dein Gott erweisen! Du wirst mein Volk in die Freiheit führen! Und auch die Grundbotschaft Jesu von der nahen Königsherrschaft Gottes ist nichts anderes als eine erneuerte, drängende, mit seiner Person verbundene Vergegenwärtigung dieses Gottesnamens.

Unser Lied ist von zahlreichen biblischen Anspielungen durchzogen. Es handelt vor allem um einen Vers aus dem Buch Deuteronomium (Dtn 32.4), den Psalm 23 und andere Psalmverse. Die meist vierhebigen Jamben – die Betonung liegt dabei jeweils auf der zweiten Silbe – sind nicht ein an den Kranken gerichteter Appell. Vielmehr nehmen sie seine eigene Perspektive auf, damit er sich diese Zeilen samt ihrem Trost innerlich zu eigen machen kann. Die ursprünglich 6 Strophen sind durchgängig gegliedert durch den vierzeiligen Aufgesang und den dreizeiligen Abgesang. Der Aufgesang bildet jeweils einen Melodiebogen mit Aufschwung und Abschwung. Im Abgesang schließen sich drei Kurzzeilen an. Die Schlusssilben sind durch die abfallenden Quintsprünge stark betont. Die erhebende Es-Dur-Melodieführung im Aufgesang überwindet gleichsam das am Grund des Herzens verborgene Leid des Sterbenskranken. Das Lied fand viel Widerhall, sodass es bald in mehreren evangelischen Gesangbüchern gedruckt wurde. Johann Sebastian Bach verwendete es mehrfach in einigen seiner Kantaten.

Samuel Rodigast wollte mit seinem Gebetsgedicht dem Freund Severus Gastorius einen Weg durch das Leiden zeigen. Der Sänger des Liedes ist kein Hiob, der sich nach der ersten Phase der Ergebenheit zum Rebellen gegen Gott entwickelt, weil er ihn nicht aus der Verantwortung für sein unerträgliches Leid entlässt. Das Lied greift auch nicht auf den provokativen Verlassenheitsschrei Jesu zurück, mit dem er nach Markus und Matthäus stirbt. Der Umgang mit der bedrohlichen Krankheit erinnert eher an die Art, wie Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefs die Grundhaltung der Hoffnung beschreibt (Röm 8,22-39). Er sagt: Wir haben auch als von Gott Geliebte Anteil am Stöhnen und Seufzen der gesamten Schöpfung. Denn diese ist von Gott der Vergänglichkeit unterworfen. Doch der Geist Gottes überkommt unseren unaussprechlich stöhnenden Geist und hilft uns auf in unserer Bedrängnis. So kann dieses Kapitel ausklingen in einem Preislied auf die Hoffnung. Zum Abschluss einige markante Verse aus dem Schlussteil: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, Gott immer zum Guten verhilft. ... Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns? … Ich bin nämlich überzeugt, dass weder Tod noch Leben, … noch Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Mächte, noch Höhe noch Tiefe, noch ein anderes Geschöpf uns trennen und wegreißen können von der Liebe, die Gott zu uns hat in Christus Jesus unserem Herrn.“ (Übersetzung Norbert Baumert)

Diese bezwingende Kraft der Hoffnung lässt auch unser heutiges Lied „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ aufklingen!

 

Karl Kern SJ

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