Leib, Geist und Seele bei Paulus

Impuls beim Jubiläum von „INTEGRIO“ – 8.November 2019

Leib, Geist und Seele bei Paulus ist mein Impuls überschrieben. Anhand eines christlichen Gunddokuments, des Briefs an die Christengemeinde in Rom, möchte ich Ihnen die biblische Anthropologie kurz nahebringen. Der Römerbrief ist ein groß angelegter Wurf, in dem Paulus sein Evangelium reflektiert, erklärt und verteidigt; es ist sein theologisches Vermächtnis. Im 17. Vers des ersten Kapitels, findet sich eine Art Basissatz. Der lautet:
17a Gottes Gerechtigkeit nämlich, sein gerecht machendes Handeln, wird in ihm (im Evangelium) enthüllt und offenbar, 17b (und zwar) aus Trauen zu Trauen, ..
Im Evangelium geschieht „Offenbarung“, es enthüllt Gottes gerechtes Walten für den, der sich auf diese Botschaft einlässt. Paulus weist indirekt hin auf seine persönliche Gotteserfahrung vor Damaskus. Davon redet und schreib er eigentlich immer. Was spricht er genau an? Gott, der Gott Israels, an den er glaubte, hat ihm seinen Sohn als Auferstandenen geoffenbart. So drückt er sich im Galaterbrief aus. Offenbarung beginnt damit, dass Gott ihm selbst und jedem Menschen mit ‚Trauen‘ neu, unerwartet und unverfügbar entgegenkommt und durch diesen Vertrauensvorschuss den Menschen herauslockt, auch ihm zu trauen. EinRaum gegenseitigen Vertrauens ist damit eröffnet.
Die Kurzformel „aus Trauen zu Trauen“ erläutert Paulus durch ein Zitat aus dem Propheten Habakuk. Der hebr. Text heißt: „Der Gerechte wird aus seiner (eigenen) Treue (emunáh) leben.“ (Hab 2,4) Die Septuaginta, die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, schreibt: „Er wird aus meiner (nämlich Gottes) Treue oder Trauen (pistis) leben.“ Paulus möchte beide Aussagen kombinieren: ‚aus (Gottes) Trauen zu (des Menschen) Trauen.‘
Es geht hier um die Grundbeziehung zwischen Gott und Mensch, die bisher den Juden, aber nun in Christus zusätzlich und neu „geoffenbart“ und allen Menschen angeboten wird. Gott kommt in Christus auf neue Weise der Menschheit entgegen. Das ist sein Evangelium, seine Gute Botschaft.
In den Kapiteln 5 bis 8 fragt Paulus: Wie leben wir weiter, wenn wir die Ge-rechtmachung durch Christus empfangen haben und im Raum des Vertrauens bleiben wollen? Seine Antwort: „Lasst uns Frieden halten mit Gott.“ (5,1)
Störungen sind zu erwarten, aus uns selbst, aus der Umwelt. Gott hilft, diese zu überwinden. So geschieht das Wunder der Umgestaltung. Glaube als gegenseitiges Vertrauen ist ein lebenslanger Prozess der Transformation. Hören wir den Originalton am Anfang des fünften Kapitels:
5,1aGerecht gemacht nun aus Trauen 1blasst uns Frieden halten mit Gott 1cdurch unseren Herrn Jesus Christus, 2adurch den wir in der Tat den Zugang erlangt haben zu dieser Gnade, 2bin der wir einen Stand gefunden haben. 2cUnd lasst uns dankbar sein und selbstbewusst angesichts der Hoffnungsgestalt der Herrlichkeit Gottes.
Paulus weiß um die Gefährdung des Menschen. Er macht klar, worin er die Gefährdung sieht: Die Herrlichkeit, die Gott dem Menschen in der Vergebung, im Angenommensein schenkt, ist nicht von der Art dieser Welt. Sie ist den nur äußeren Augen verborgen. Sie ist auch nicht verfügbar, sondern kann nur in Ehrfurcht immer wieder neu empfangen werden.Das heißt hier: „Hoffnung der Herrlichkeit Gottes“. Das meint eine neu qualifizierte Gegenwart, eben die Kraft der Hoffnung.
Paulus ermutigt zum geistlichen Blick (V 5): Akzeptiere die Andersartigkeit der gegenwärtigen Herrlichkeit und du wirst auch Signale der Versicherung und Stärkung erfahren. Rühme dich dieser unsichtbaren Wirklichkeit. Mitten in der Bedrängnis kann so die Hoffnung erstrahlen. Im achten Kapitel beschreibt er dieses Leben aus dem Geist Gottes:
8,12a Also nun, Brüder, verpflichtet sind wir nicht dem Fleisch, 12bso dass wir fleischlich leben und uns nach sündigem Verlagen ausrichten müssten! 13aWenn ihr euch nämlich nach Fleisch ausrichtet, seid ihr im Begriff zu sterben (nimmt der Todesbereich in euch zu). 13b Wenn ihr aber durch Geist die Handlungen des Leibes tötet, folgt notwendig, dass ihr lebt und lebendig seid. 14Denn alle, die sich durch Geist Gottes leiten lassen, sind „Söhne“ Gottes (stehen in einem Vertrauensverhältnis zu ihm), 15a Ihr habt ja nicht empfangen einen Geist, der (=eine Lebensqualität, die) euch zu Knechten macht, so dass er wiederum Furcht mit sich bringt (Angst vor dem Zorn, wenn die Sünde lockt), 15bsondern habt empfangen einen Geist einer Sohneseinsetzung (was eine Lebensqualität von Söhnen besagt, die aus Liebe zum Vater dem sündigen Impuls widerstehen und den Willen des Vaters tun). 15cIn ihm rufen wir: Abba, Vater! 16aEr selbst, der Geist persönlich, bezeugt zusammen mit unserem Geist, 16bdass wir „Kinder“ Gottes sind…

Im 6. Kapitel legte Paulus dar: Sünde bringt Tod. Jetzt folgt die Schlussfolgerung: Also muss man die Sünde meiden und ihre Antriebe „töten“. Dazu hat der Gerechtgemachte die Kraft im Geist bekommen (8, 2-11). ‚Tod‘ meint hier Gottferne mit allen negativen Konsequenzen ungelebten oder pervertierten Lebens. ‚Leben‘ ist gottgeschenktes Leben im Geist derKindschaft.
Der Geist macht hier und jetzt lebendig. Durch den Geist wird der Leib von den todbringenden Elementen befreit. Vom Tod zum Leben hinüberzugehen ist ein lebenslanger Reifeprozess, bei dem der Tod an Einfluss verliert. Es darf hier keine dualistische Sicht hineingelesen werden. „Fleisch“, „sterblicher Leib“ stehen für die ‚Schwachheit‘ im sittlichen Sinn und für Hinfälligkeit als Folge des Sündenfalls. Es geht immer um den ganzen Menschen.
In V 14 folgt eine neue, weitere Begründung: Der Geist bringt Leben, jetzt aber nicht mehr aus dem Wesen des eigenen Geistes, sondern aus der Geist-Erfahrung der Adressaten. Der Geist der Sohneseinsetzung bzw der Adoptiv-sohnschaft machte sie zu Erlösten: Sie stehen nicht mehr unter der Angst und Beklemmung. Der ‚Geist der Knechtschaft‘ ist nicht ein böser Geist, sondern eine frühere Stufe auf dem Weg Gottes. Das Einhalten oder Übertreten des Werke-Gesetzes – bei den Heiden analog: die Stimme des Gewissens, der man folgt oder nicht - war schon ein Schritt zum Heil, doch auch mit Angst verbunden, in der man „wie im Gewahrsam“, wie ein Sklave, sich fühlte. Der ‚Geist der Kindschaft‘ schenkt Zutrauen zu Gott.
15c In dieser Geistexistenz rufen wir ‚abba, Vater‘. In 16 dann ein unverbundener Anfang: „Er selbst, der Geist“ oder „der Geist selbst“ – im Unterschied zu unserem Geist, von dem soeben die Rede war; diese beiden Zeugen, der Geist Gottes und unser Geist, bezeugen dem sterblichen Leib, dem noch hinfälligen, sterblichen Menschen in uns, das wir geborene Kinder Gottes sind. Dieses innerliche Miteinander von ‚Geist selbst‘ und unserer Geistdimension charakterisiert die Adressaten als Auferstandene. Wie aber erlebt man das konkret? Dazu Paulus einige Verse weiter im 8. Kapitel:
26a Ebenso aber (wie die Erlösung unseres Leibes) wird auch der Geist von uns mit-entgegengenommen in unserer Schwachheit; 26b denn was wir beten sollen, wie es nötig ist, das wissen wir nicht. 26c Aber der Geist selbst überkommt (unser) unartikuliertes Stöhnen. 27a Als der Herzenserforscher aber weiß Er (der „Geist selbst“), 27b was das Trachten des Geistes (von uns) ist, 27c das, was Er (dann) Gott entsprechend erbittet für Heilige.
Der Geist (als Fürsprecher) wird ‚mit‘-aufgenommen, zusammen mit der Erlösung unseres Leibes. Er ist eine weitere Gabe für den bedrängten Gläubigen. Nicht der Geist stöhnt „mit unaussprechlichem Seufzen“, sondern er kommt über unser unartikuliertes Stöhnen – wie eine Mutter über ein wimmerndes Kind. Das Eintreten des Geistes Gottes zeigt sich in der Erfahrung, dass in solch innerer Not ein Mensch gelegentlich eine innere Bewegung spürt, die ihm die Anwesenheit des Geistes anzeigt, die ihm anzeigt: Gott kennt meine Not.
Der Geist kommt, um etwas zu tun, nämlich uns in unserer Not, in unserem ausharrenden Ausschauen nach der Erlösung zu helfen. Der Geist will uns helfen in dieser unbeholfenen Hinwendung zu Gott. Während wir selbst es nicht in Worte fassen können, durchforscht der Heilige Geist (1 Kor 2,10) unsere Herzen und weiß, wohin das Trachten unseres Geistes geht. Geistliches Leben heißt Leben aus dem Wunder einer geheimnisvollen Verwandlung.
Hören wir zum Schluss den hymnischen Ausklang des 8. Kapitels:
-, 35a wer könnte uns da trennen von der Liebe Christi? 35bBedrängnis oder Angst, 35cVerfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?
36aEs ist ja so, wie geschrieben steht: 36b„Deinetwegen werden wir getötet den ganzen Tag, 36cwurden wir behandelt wie Schlachtwieh“
(Ps 44,23). 37Aber in all dem siegen wir übermäßig („einen Super-Sieg“) in der Kraft dessen, der uns geliebt hat (in Jesus Christus).
..38aIch bin nämlich überzeugt, dass 38bweder Tod noch Leben, 38cnoch Mächte, 39anoch Höhe noch Tiefe, 39bnoch ein anderes Geschöpf 39cuns trennen und wegreißen kann von der Liebe, die Gott zu uns hat in Christus Jesus unserem Herrn.
Das Fazit von Kap 5-8: Es gibt nichts, was uns von der Liebe Gottes trennen kann. Grundaussage ist: Gott lässt uns nicht, also wollen auch wir ihn nicht lassen.
Das christliche Menschenbild lebt von der Hochschätzung des Leibes als irdischer „Aggregatszustand“ der unsterblichen Seele. Das ist kein Dualismus, keine Trennung, sondern INTEGRIO, Einheit in Verschiedenheit. Unser vergänglicher und angefochtener Leib mit all seinen Strebungen soll durch den Geist auf das Geheimnis Gottes hingeordnet sein und dadurch seine wahre Würde erlangen. In seiner Seele, seinem gottoffenen Wesen, nehmen Leib undGeist die Impulse Gottes auf und etwas erfahren, was der johanneische Christus in den Satz kleidet: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, und es in Fülle haben. (Joh 10,10)“
Glaube heißt gegenseitiges Vertrauen und lebt von der Verheißung, dass sich mein Leben hier und jetzt steigert und in einer letzten Steigerung in der absoluten Schwachheit des Todes seine ewige Vollendung findet.

Karl Kern SJ

 

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