Der Glaube – nur ein schöner Traum?

Vortrag in der Reihe „Traumwelten“ – Landshut 29.11.17

Einleitung und Hinführung

„Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zu einem Fenster. Ich stoße das Fenster auf und weise hinaus. Ich zeige Wirklichkeit.“ So hat Martin Buber, der 1965 verstorbene jüdische Religionsphilosoph, sich selbst und seine Art der Glaubensweitergabe charakterisiert (Zit nach Reinhard Körner, Weisheit, die Spiritualität des Menschen, Leipzig 2004, S.91).
Meine liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich möchte in der nächsten Stunde etwas Ähnliches mit Ihnen versuchen: Ich weise hin auf Träume als Fenster auf die Wirklichkeit, auf die grundlegende Wirklichkeit unseres Lebens, auf Gott. Ich möchte Ihnen in einem Durchgang durch die Bibel aufzeigen: Träume sind ein wichtiger Zugang zur Wirklichkeit Gottes und damit zum Glauben. Unsere Themafrage – Glaube, nur ein schöner Traum? – möchte ich zur These umformulieren: Der Glaube an den Gott Israels, den Gott Jesu Christi, ist nicht ein flüchtiger Traum, der Glaube erschließt die letzte Wirklichkeit, aus der wir alle leben.
Noch ein zweites Zitat, diesmal aus dem Erfahrungswissen indianischer Völker, das Ihnen zeigen soll, dass unsere These nicht nur auf die biblische Tradition beschränkt ist: „Lausche auf die Inspirationen, die dein Herz empfängt, und richte dich danach. Stelle dich darauf ein, dass du auf vielerlei Art eine führende Hand spüren wirst: im Gebet, in Träumen, in Zeiten einsamer Stille und durch die Worte und Taten weiser Ältester und Freunde.“ (Aus DER HEILIGE BAUM, Ein indianisches Weisheitsbuch, zit nach Körner S. 111)

Der Anfang des Glaubens und der Urtraum des Menschen

Der Glaube Israels nimmt seinen historischen Anfang bei Abraham, dem Vater des Glaubens. Was Abraham auszeichnet, ist sein Hingegebensein an die Stimme des personalen, lebendigen, bilderlosen Gottes. Diese Stimme ruft ihn heraus aus dem Vorgegebenen und Vertrauten. Es ist die Stimme der Verheißung einer neuen Freiheit und einer neuen Beheimatung im verheißenen Land. Es ist die Stimme eines Gottes, der ihm sagt: Ich ermutige dich, ich gehe mit dir. In mir findest du die Richtung, den Sinn, eine ungeahnte Geborgenheit und Treue.
Geborgenheit und Freiheit, Beheimatung und immer neuer Aufbruch markieren wie in einer Ellipse die beiden Brennpunkte, um die unsere Existenz schwingt. Vermutlich ist die physiologische und psychische Grundlage alles Religiösen unseren Monaten im Mutterleib zu verdanken. Wir erlebten das „ozeanische Gefühl“ (Freud) absoluter Geborgenheit. Die Geburt dürfte für uns alle ein Trauma des Aufbruchs gewesen sein, eine Art Vertreibung aus dem Paradies. Die Neugeborenen suchen nach diesem Schock die körperliche Nähe zur Mutter, sie klammern sich an diese Quelle des Lebens. Gleichzeitig stoßen sie sich aber schon früh von der Mutter ab. Sie suchen ihren Eigenraum.
Zugehörigkeit, Geborgenheit und Freiheit, Eigenstand zu leben und beides zu verbinden, das ist der Urtraum des Menschen. Der Gott Israels will seinem Volk dieses mütterliche Umfangen- und Geleitetsein geben, er ist aber auch der Vater der Trennung, des Aufbruchs, der Freiheit.
Somit können wir als erste These formulieren: Der Glaube an Gott erwächst aus der Ursehnsucht des Menschen nach Geborgenheit und Freiheit. Der Mensch ist ein Fragment der Sehnsucht nach dem Unendlichen. Menschen, menschliche Beziehungen stillen diese Sehnsucht, aber nie ganz. Ganz wird der Mensch, wenn er sich als Symbol des Absoluten begreifen lernt.
„Symbol“, das Zusammengefügte, ist in Griechenland ein Teil eines Tontäfelchens, das man in zwei Stücke zerbrach. Die Bruchstellen fügen sich nahtlos aneinander. Es gibt auf der ganzen Welt nur ein einziges passendes Gegenstück. So kann sich ein Bote, der von einem Freund kommt, ausweisen.
Der Mensch, das eine Symbolteil, hungert nach dem fehlenden Teil, das unbegrenzt und unendlich ist. Der Hunger nach Liebe ist unstillbar. Der französische Schriftsteller Paul Claudel hat diese Spannung so umschrieben: „Der Unersättliche kann sich nur an den Unerschöpflichen wenden.“ Nur Gott ist groß genug, den Leerraum unseres Herzens zu füllen. „Auf dich hin, Gott sind wir geschaffen - unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“, so die berühmte Umschreibung dieses seltsamen Paradoxes, die Augustinus geprägt hat.
In diesem Bild wird deutlich: Ganzheit ist kein individueller Zustand und Begriff, vielmehr ein Geschehen der Ergänzung. Wir sind angewiesen auf Beziehung, auf Freundschaft, auf Einswerden mit anderen, mit dem „ganz Anderen“. Es gibt Versuchungen, den Riss in uns zu leugnen. Man will sich selbst ohne die anderen vervollkommnen. Man schneidet – im Bild des Symbols – das ausgefranste Bruchstück einfach ab. Man verbirgt oder überspielt die Bruchstelle, indem man sie abrundet. Doch das muss scheitern. Wir sind von einer tiefgründigen Bedürftigkeit geprägt. Der Mensch ist Symbol, Bruchstück, Torso – und schreit nach Ergänzung. Er ist ein spirituelles Mängelwesen. Durch die Ursünde wurde Misstrauen zwischen Gott und Mensch in uns allen als Erbe angelegt. Mit Abraham beginnt die Gegenbewegung: Trotz allem den Freiheitsweg des Glaubens mit anderen zu gehen.

Jakob und die Bestätigung des Lebenstraumes

Abraham gilt in der jüdischen Tradition als der Vater vieler Völker. Er verkörpert etwas universal Menschliches. Stammvater Israels ist Jakob mit seinen zwölf Söhnen. Er lebt wie Abraham „jenseits von Eden“. Das Paradies ging nach den mythischen Urgeschichten der Bibel durch das Misstrauen gegenüber Gott verloren. Doch Gott steht weiterhin zu seinen Menschen – in einer Welt voller Mühe und Plackerei, in einer Welt, geprägt durch Konkurrenz und Gewalt, auf einer Erde, die vom Blut des ermordeten Bruders befleckt ist.
Die Rivalität zum älteren Zwillingsbruder bestimmt die Kindheit und Jugend Jakobs. Er ist das Muttersöhnchen. Rebekka fädelt den Betrug ein: dass Jakob, der Jüngere, vor seinem Bruder Esau von Jakob gesegnet wird. Die Erwählungsgeschichte, die mit Abraham begann, setzt sich in ihm, dem Zweitgeborenen, fort, allerdings mit dem Makel, dass er seinen Bruder betrogen hat. Er muss deshalb von zu Hause fliehen und soll sich bei den fernen Verwandten eine Frau suchen. Fragen Sie sich kurz: Wie wird es dem Flüchtenden innerlich gehen? Wie wird Gott reagieren?
Hören wir den biblischen Text dazu: Gen 28, 11ff
11Er kam an einen bestimmten Ort, wo er übernachtete, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. 12Da hatte er einen Traum: Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. 13Und siehe, der Herr stand oben und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. … 15Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe. 16Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der Herr ist an diesem Ort und ich wusste es nicht. 17Furcht überkam ihn und er sagte: Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels. 18Jakob stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goss Öl darauf. 19Dann gab er dem Ort den Namen Bet-El (Gotteshaus).

In der bisher dunkelsten Phase seines Lebens erfährt Jakob durch diesen Traum, dass Gott mit ihm Geschichte machen will und ihn im Drama seines Lebens nicht im Stich lässt. Wo immer ein Mensch ist, der sich, gerade mit „zerbrochenem Herzen“, öffnet, gibt es diese Treppe, auf der Engel auf- und niedersteigen, gibt es die Möglichkeit persönlicher Gotteserfahrung trotz aller schuldhaften Zusammenhänge, in denen wir alle leben.
Mit dem Offenbarungstraum in Bet-El steht Jakob erstmals auf eigenen Füßen. Bisher hatte Rebekka für ihn entschieden. Nun aber stellt sich Gott dem Sohn als Gott seiner Väter vor und bestätigt ihn als Träger der Verheißungen. Gott bestätigt die Wahl Rebekkas zu einem Zeitpunkt, an dem Jakob scheinbar alles verloren hat: Familie, Land und offenkundig auch den Segen. Der Gesegnete ist nicht in seine Rechte eingesetzt, er ist auf Verheißung hin unterwegs. Er ist im Glauben, in der persönlichen Begegnung mit dem Mysterium Gottes erwachsen geworden.
Er erweist sich in den folgenden Jahren als schlau und lebenstüchtig, obwohl auch er von seinem künftigen Schwiegervater Laban betrogen und über Ohr gehauen wird. Aber er steht das durch – im Glauben an den Gott der mit ihm ist. Doch eine Wunde brennt in ihm: Er muss nach Hause, ins verheißene Land. Er bricht heimlich auf und täuscht Laban, der ihn mit seinen Leuten verfolgt und einholt. Doch die Sache geht gut aus. Laban lässt ihn, seine beiden Frauen, die ganze Großfamilie und den Tross ziehen. Jakob schafft alle über den Grenzfluss Jabbok und bleibt allein am anderen Ufer zurück. Der Gewiefte und Lebenstüchtige muss sich dem eigenen Schatten stellen.
Es wird erzählt (Gen 32,-25-33): Ein geheimnisvoller Mann springt ihn an. Jakob lässt sich nicht unterkriegen – Kennen wir Ähnliches?  Kämpfe in der Nacht? Dunkle „Zwillingsbrüder“, die zu uns gehören? Vor diesem Bruder ist er geflohen. Er muss sich versöhnen, mit Esau und mit sich selbst.
Bei diesem Kampf um Leben und Tod muss ein Fluss überschritten werden. Dabei denkt Jakob nur an Eines, an den Segen; er ahnt, er hat es mit Gott zu tun; er bleibt Subjekt und unterwirft sich nicht, will etwas Weiterführendes draus machen. Auf keinen Fall darf er von seinem Gott lassen. – Und wir in vergleichbaren Situationen?... Jammern, zu frühes Aufgeben, falsche Ergebenheit ....
Jakob erfährt die geistige Auseinandersetzung wie einen Kampf. Er muss sich zu seinem Namen bekennen, muss sagen, wer er ist: Jakob, der Betrüger, der Mensch, der mit einer Lebenslüge lebt, der Lebenserfolg mit Lebenserfüllung gleichgesetzt hat. In diesem Kampf wird er ein anderer. Diese existentielle Erfahrung bestätigt ihm, dass er einem „Höheren“ begegnet war, der seinen Namen nicht offenbart, aber ihn segnet. Der Segen steht anstelle des Namens. Name und Segen stehen für Gott – sínd Gott selbst. Segen als, wie Dietrich Bonhoeffer es nennt, „erfahrbare Gottesnähe“, als neue Einstellung zum Leben, zu sich selbst. Eingeständnis, dass man das Leben nicht eigenständig zur Erfüllung bringen kann. Gottesbegegnung und heilende Selbstbegegnung sind zwei Seiten einer Medaille.
Wie immer man den nächtlichen Kampf bewerten mag: Am Morgen scheint die Sonne auf Jakob, doch er hinkt: Wer Gott begegnet, ist gezeichnet – das Hüftgelenk ist verrenkt. Gibt es auch für uns Gotteswunden, Spuren von Lebenskämpfen, die wir nicht missen möchten?
Als „Behinderter“ wird eine frühere Lebensform zu einer reiferen Gestalt überführt. Jakob muss mit Isaak, Esau und Gott ins reine kommen. In seiner Angst wurden die Drei zu einer einzigen Figur, die ihn bedrohte und die ihn segnen konnte: eine echte Bekehrungsgeschichte.
Der Bruch im Leben wird zum Segen. Das Vergangene, dem er sich stellt, ist schmerzhaft integriert, den Weg in die Zukunft geht er als Gezeichneter, Demütiger, ausgestattet mit Segen, mit der Kraft Gottes. Jakobs überkommenes Gottesverständnis ist buchstäblich ausgerenkt. Er hat „Gott geschaut“, ein persönliches Gottesverhältnis gefunden. Das Licht eines neuen Morgens umgibt ihn.

Was lehren uns die Träume Jakobs? Sie bestätigen die tiefe Intuition in die Verheißungen Gottes trotz aller Schuld, trotz allen Versagens. Allerdings gilt auch: Man muss sich im Traum, der das Untergründige zutage fördert, der eigenen Schuld stellen und das Leben schöpferisch immer wieder in die Hand nehmen – im Vertrauen auf den geheimnisvollen Mit-Geher-Gott.

Josef, der Träumer: Vom Narzisten zum Mehrer

Der sprichwörtliche Träumer und Traumdeuter der Bibel, ist Josef, der älteste Sohn Jakobs von seiner Lieblingsfrau Rahel. Die Josefsgeschichte hat „das Flair des Säkularen“ (Winfried Jüngling SJ). Sie stammt in der Endredaktion aus dem Umfeld der sog. Weisheitsliteratur. Die Verhaltenheit, auch die Geschlossenheit und der Stil der Josefsgeschichten atmen nicht mehr den archaischen Geist der Väter- und Mütterlegenden, die mit manchen Brüchen zu einem Sagenkranz verbunden wurden und oft von Gottes direktem Eingreifen erzählen.
Wir alle sind in Familien oder ähnlichen sozialen Konstellationen groß geworden und leben in Verbindung mit anderen. Die Josefsgeschichte ist eine Geschichte von familiären Verstrickungen, von menschlicher Schuld und vom mühsamen Prozess der Versöhnung. (Vgl die Klammer der ganzen Geschichte: Gen 37,4 und 50,21)
Josef wird von seinem Vater abgöttisch geliebt. Er hat ein übersteigertes Selbstbewusstsein, das er – nicht uneitel – vor seinen Brüdern demonstriert, indem er seine Träume erzählt, die immer darauf hinauslaufen, dass sich die anderen vor ihm neigen müssen. Narzisstische Selbstüberhöhung spricht aus seinen Träumen.
Er muss buchstäblich von seinen hasserfüllten Brüdern in die Grube, in eine leere Zisterne geworfen werden, wird nach Ägypten verkauft, während die Brüder vorgeben, ein wildes Tier habe ihn getötet. Im Haus des Potiphar, eines ägytischen Granden, steigt er auf. Die Frau des Hauses wirft begehrliche Blicke auf ihn. Er entzieht sich dem harsch geforderten Beischlaf, wird der versuchten Vergewaltigung bezichtigt und landet im Gefängnis. Dort trifft er auf den Mundschenk und den Bäcker des Pharao, die am Hof in Ungnade gefallen waren. Er deutet deren Träume, und damit die Zukunft der beiden. Als der Pharao beunruhigende Träume hat und die ägyptischen Traumdeuter nicht weiter kommen, erinnert sich der eine an Josef. Er wird aus dem Gefängnis zum Pharao gebraucht und deutet dessen Träume, die die Zukunft des Gemeinwesens betreffen. Er wird zum Stellvertreter des Pharao, einer Art Superminister, erhöht, damit er im Land durch die sieben fetten Jahre hindurch eine Vorsorgepolitik betreiben kann, um die Ägypter und auch Fremde vor der von ihm angesagten siebenjährigen Zeit des Mangels und der Hungersnot zu ernähren.
Josef wird vom selbstverliebten Narzissten zum „Mehrer“, was die wörtliche Übersetzung von Josef ist. Höhepunkt der Josefsgeschichten ist die Wiederbegegnung mit seinen Brüdern und mit seinem Vater. Er versucht in der entscheidenden Szene, als „euer Bruder“ den Brüdern die Angst zu nehmen. Er spricht nicht von Vergebung, das würde sie nur beschämen, sondern nennt eine große, weltumgreifende Sicht der Dinge: Um „Leben zu retten“, ist das alles geschehen. Er bringt das Handeln Gottes in Spiel. Und er steht im Dienst dieses Handelns.
In der Josefsgeschichte wird verhalten und gar nicht sakral von Gott erzählt. Diese Geschichten „weisen auf das in tiefer Weltlichkeit verborgene Heilswalten Gottes hin. Dieses Walten Gottes zum Heile der Menschen durchzieht alle Lebensbereiche und es umgreift sogar das Böse des Menschen, indem es die Planungen des Menschenherzens, ohne sie zu hemmen und zu entschuldigen, seinen göttlichen Plänen dienstbar macht“ (Gerhard von Rad). Die Träume Josefs, die ursprünglich Ausdruck seiner Eitelkeit und Selbstüberhöhung waren, werden – durch Leiden gereift – zu Träumen, die Leben vermehren und einen versöhnten Neuanfang in der Großfamilie ermöglichen.
Träume, so zeigt die Josefsgeschichte, erschließen die wahren Lebenskräfte, sie sind Hinweise auf den Plan Gottes mit seiner Menschheit und sie läutern mehr und mehr den Träumer, bis er wirklich das ist, was sein Name sagt: ein „Mehrer“ des Lebens.
Wahre Religiosität zeigt sich an ihren „Früchten“, daran, ob ein Mensch das fördert, was dem Leben, der Versöhnung, der eigenen Gemeinschaft und letztlich der Menschheit dient. Wer in ichbezogenen Träumen steckenbleibt, endet in einem aufgeblähten Ich, das entweder zerbirst oder um das sich alle anderen drehen müssen wie um ein Zahnrad. Das aufgeblähte, starre Ego lebt aus einer Scheinwirklichkeit, als ob es allein der Mittelpunkt der Welt wäre. Dagegen ist der Mensch, der im Blick auf die anderen Leben vermehrt, erst eigentlich ein wirklicher Mensch, ein „animal sociale“, ein Wesen vernetzt und bezogen auf andere. Die Wirkungen seiner Intuition weisen ihn aus. Die Träume sind ein Königsweg, um aus lebensförderlichen Intuitionen zu leben.

Salomo und der Traum von der Weisheit

Eine berühmte Traumgeschichte der Bibel ist der Bericht vom Traum des jungen Salomon (1 Kön 3, 5-15) Der junge König ist noch unsicher, er „weiß weder aus noch ein“. Da gibt ihm Gott im Traum einen Wunsch frei. Sie kennen das Motiv aus vielen Märchen. Meistens geht es dort schief, weil die Menschen sehr oberflächliche Wünsche äußern und sich immer mehr ins Unglück verstricken. Salomo dagegen wünscht sich „ein hörendes Herz“ und Gott ist von diesem Wunsch so begeistert, dass er ihm ein „weises und verständiges Herz“ schenkt. Das was, er nicht erbeten hat, „langes Leben, Reichtum und den Tod seiner Feinde“ bekommt er obendrein. Die Traumbitte zeigte: Salomo ging es nicht um das „Haben“, sondern um das „Sein“.
„Weisheit“ ist etwas, was in vielen religiösen Traditionen und Kulturen hochgeschätzt wird. Weisheit ist nicht mit Intelligenz, Verstandesschärfe gleichzusetzen. Es nicht einfach nur Wissen. Das Substantiv leitet sich nicht vom Verb „wissen“, sondern „weisen“ her. Weisheit hat mit Wahrheit zu tun, im Sinne von weisender, gelebter, stimmiger Wahrheit, aber auch im Sinne eines wahren Gedankens, eines erhellenden, klärenden Wortes, einer Erkenntnis über Wichtiges und Wesentliches. Das Mittel, um weise zu werden, ist weniger die intellektuelle Begabung als vielmehr die Wahr-nehmung, das bewusste und vorbehaltlose Aufnehmen dessen, was wahr ist. Ein weiser Mann, eine weise Frau ist ein Mensch, der sich aus tiefer Intuition, genährt auch aus Träumen, den Wahrheiten, die das Leben an ihn, an sie herangetragen hat, stellt. Das Gegenteil ist in der Sicht der Bibel „der Tor“ oder „der Frevler“, also ein Mensch, der die Wahrheit nicht beachtet oder verdreht und mit anderen unmenschlich umgeht. Weisheit wird erfahren und empfangen. Weisheit umgreift alle Religionen und verbindet auch die Religionslosen mit religiösen Menschen.
„Wir kommen in unserer religions- und weltanschaulich-pluralistischen Welt nicht mehr umhin, nach dem zu suchen, was uns gemeinsam ist. Und nach dem, was Gemeinsamkeit aufbaut. Ich glaube, dass dieses Gemeinsame und Einende – neben dem Faktum, dass wir Menschen sind – die Fähigkeit zur Weisheitserfahrung ist.“ (Reinhard Körner OCD)
Träume sind wie eine Tiefenbohrung, die zum Quell der Weisheit führt. Wahrer Glaube ist gelebte Weisheit.

Kritik an den Träumen

In der Bibel gibt es auch einen Überlieferungsstrom, der die Träume sehr kritisch sieht, zumal sich  in der Umwelt Israels professionelle Traumdeuter, Wahrsager, Zeichendeuter selbst inszeniert und teilweise viel Unfug getrieben haben. Da ging es weniger um den unverfügbaren Gott. Wenn die Souveränität und Unverfügbarkeit Gottes infrage gestellt wird, werden Traumdeuter und solche, die auf sie hören, hart bestraft (Vgl 5 Mose 13,2-6).Träume werden als trügerische Wirklichkeit bloßgestellt. Der Mensch macht sich etwas vor und hält sich nicht an die Weisung Gottes. Träume, die im Koordinatensystem des Ego bleiben, können in der Tat reine Illusionen widerspiegeln. Sie gaukeln etwas vor, vernebeln die Wirklichkeit, statt dass sie Wirklichkeit erschließen.
Hören wir aus diesem kritischen Überlieferungsstrang eine exemplarische Stimme, die des Weisheitslehrers Jesus Sirach aus dem 3. Jahrhundert v.Chr.

34, 1Nichtige und trügerische Hoffnung ist Sache des Toren /und Träume regen nur Törichte auf. 2 Wie einer, der nach Schatten greift und dem Wind nachjagt, /so ist einer, der sich auf Träume verlässt.3 Das Traumbild ist ein Spiegel, /das Abbild eines Gesichts gegenüber dem Gesicht selbst.4 Wie kann Reines vom Unreinen kommen? /Wie kann Wahres von der Lüge kommen? 5Wahrsagung, Zeichendeuterei und Träume sind nichtig: /Was du erhoffst, macht das Herz sich vor.6Sind sie nicht vom Höchsten zur Warnung gesandt, /so schenk ihnen keine Beachtung! 7 Träume haben schon viele in die Irre geführt, /weil sie ihnen vertrauten, sind sie gestrauchelt.8Das Gesetz wird zuverlässig in Erfüllung gehen. /Vollkommen ist Weisheit in einem ehrlichen Mund.
Tun wir jetzt den Schritt ins Neue Testament: Für uns Christen ist Jesus Christus der Inbegriff göttlicher Weisheit. Nicht eine Lehre, sondern eine Person und ihr Lebensgeschick sind die Mitte des Christlichen. Wenden wir uns zunächst Josef, dem Nährvater Jesu, zu.

Josef, der Nährvater Jesu: Vom religiösen System zur Stimme des barmherzigen Gottes.

Das Erscheinen des Messias, den Israel erwartete, war auch für gläubige Juden in der Gestalt Jesu etwas überraschend Neues und Unerwartetes. Diesen entscheidenden Schritt, das überkommene religiöse System aufgrund einer neuen Offenbarung zu überschreiten, diesen mutigen Schritt macht Josef. Er wird von Gott dazu ermutigt durch Träume.
Er will sich bekanntlich, nachdem er von der Schwangerschaft Marias erfährt, in aller Stille von ihr trennen. Das allein ist schon eine weiche Auslegung des Gesetzes, nach dem er seine Verlobte hätte anzeigen müssen. Doch die Traumstimme ermutigt ihn zu einem noch weitergehenden Schritt: Er soll Maria als Frau zu sich nehmen. Ein Gerechter im Sinne der Tora wird, durch den Traum ermutigt, zu einem Vertreter der neuen Gerechtigkeit, die Jesus in der Bergpredigt verkündet. Josef, hingegeben an die überraschende Stimme des barmherzigen Gottes, wagt diesen Schritt.
Von Josef wird uns kein einziges Wort überliefert. Er ist der spürsame Mann, der durch Träume sich leiten lässt und nach der Stimme Gottes im Traum handelt. Er flieht nach Ägypten, durch einen Traum vor Herodes und seinen Schergen gewarnt. Er kehrt nach Jahren zurück, nachdem es ihm die Stimme des Traumes aufgetragen hatte. Josef lässt sich von innen her leiten. Nicht ein kodiertes religiöses System bestimmt sein Handeln, sondern die Stimme des lebendigen Gottes. Er ist der Mann der inneren Freiheit und Souveränität, weil der den Träumen traut und entsprechend handelt.
Wahrer Glaube zielt auf dieses urpersönliche Du-auf-Du mit Gott. Dabei – und auch dafür steht der Traum – ist es immer die Initiative Gottes, die den Anfang setzt. Glaube ist Zutrauen zu Gott, in seine Führung, auch und gerade in den manchmal überraschenden Wendungen des Lebens. Die Träume geben Josef eine tiefe Gewissheit, dass ein Anderer ihn leitet, auf den er sich verlassen kann. Am Du Gottes wächst sein Ich zu seiner wahren Gestalt auf.

Das Gespür der Frauen

In allen Traumgeschichten der Bibel geht es um das Einströmen eines untergründigen Wissens, das Wirklichkeit eröffnet. Träume sind weisende Wahrheit. Sie berühren sich mit unseren Intuitionen. Der spirituelle Mensch ist ein bewusst lebender, wacher, aus dem Hören auf Weisheit heraus denkender, fühlender und handelnder Mensch.
Bisher war in unserem biblischen Panorama nur von Männern die Rede. Das hat damit zu tun, dass die Bibel in einer patriarchalen Zeit und Gesellschaft entstanden ist. Aus traumsicheren Intuitionen zu leben, ist eigentlich viel stärker die Begabung von Frauen. Diese Seite ist in der Bibel leider unterbelichtet.
Unser  menschliches Erkenntnisvermögen, so wusste schon die vorwissenschaftliche Psychologie seit Aristoteles, ist als ratio und als intellectus tätig. Der intellectus ist die wahrnehmende, die ratio die denkerisch-verarbeitende Tätigkeitsweise unseres Geistes.
Die Geschichte Jesu, vor allem sein Lebensende zeigen: Frauen blieben treu an seiner Seite - bis unter das Kreuz. Viele hatten, wie Maria von Magdala, die heilsame Kraft erfahren, die von diesem Rabbi ausging. Sie ahnten, sie erfuhren in ihm die Kraft Gottes selbst. Im Menschlichen, im Begrenzten das Göttliche und Unendliche wahrzunehmen, ist das größte Kunststück des Glaubens. „Vom Größten nicht umfangen und doch im Kleinsten enthalten sein, das ist göttlich.“ So lautet der Grabspruch des baskischen Geschlechts der Loyola, aus dem mein Ordensgründer Ignatius stammt. Gerade Frauen haben den göttlichen Glanz auf dem Antlitz Jesu aufblitzen sehen.
Wahrheit führen die Etymologen auf das Stammwort „uer“ zurück. Es hat die Grundbedeutung von „vertrauenswert“, meint aber auch „Gunst, Freundlichkeit erweisen“. Wahr ist also im Sprachempfinden unserer Vorfahren, was uns als „Gunst“ und „Freundlichkeit“ entgegenkommt, etwas, worauf man vertrauen kann. Eine Wahrheit ist niemals letztgültige Erkenntnis, nie abgeschlossenes Bescheid wissen und begriffen haben – und doch dürfen wir ihr trauen. Sie weist uns hin auf Echtes, „Freundliches“ und Lebensförderndes – das immer größer ist als das bisher „wahr Genommene“.
Gerade für die Frauen im Gefolge Jesu war dieser Rabbi aus Nazareth einer, in dem sie die Freundlichkeit Gottes erspürten und erkannten. Wahrheit geschieht in Begegnungen, für die Frauen, war es die Erfahrung von neuem Leben – für sie persönlich und für andere.
Nehmen sie die traumsichere Reaktion der stadtbekannten Dirne, die ihm die Füße salbt und küsst. Nehmen sie die prophetische Aktion jeder Frau, die ihm  als Auftakt zu seiner Passion mit kostbarem Öl das Haupt salbt, ihn dadurch seiner Messianität versichert und ihm Hoffnung über den Tod hinaus gibt. All diese Handlungen leben aus einer Tiefengewissheit, an die wir in Traum und Intuition rühren und an die unsere verrechnende, kombinierende ratio nicht heranreicht.
Den negativen, abwehrenden Part dieser intuitiven Gewissheit spielen die Besessenen, die Dämonen. Sie schreien heraus, wer Jesus ist, der Sohn Gottes, sie fühlen sich bedroht, denn sie möchten die betroffenen Menschen in ihren Verstrickungen belassen, um sie zu versklaven. Auch diese Stimmen kommen aus dem Untergrund, allerdings sind sie von Angst und Abwehr geprägt.

Jesus: Der Traum vom Reich Gottes und der Stachel des Kreuzes

Von Jesus selbst werden keine Träume erzählt. Vermutlich hat er welche gehabt und sie auch im kleinen Kreis erzählt, doch das war den Evangelisten vielleicht zu intim. Dennoch könnte man seine Grundbotschaft „Die Königsherrschaft Gottes ist jetzt zum Greifen nah. Sie ist da“ als den Traum vom Reich Gottes bezeichnen. Er versuchte seinen Landsleuten klar zu machen: Habt doch offene Augen und Ohren für die geheimnisvolle Gegenwart Gottes in allem und in dem, was ich sage und tue, vor allem in meinen Heilungen und Exorzismen. Jesus wird, vor allem von Lukas und Johannes, als Inbegriff göttlicher Weisheit geschildert, als Mensch, der aus einer Tiefgewissheit lebte. Er weiß um seine Herkunft in Gott und in allem, was er sagt und tut, kommt kraftvoll dieser tiefste Quell seiner Identität zum Vorschein.
Das griechische Wort „Wahrheit“, a-lätheia, ist eigentlich eine Doppelverneinung und heißt wörtlich übersetzt: Das Nicht-Verborgene. Es ist das nicht offen zutage Liegende, das den äußeren Augen Unzugängliche. Wahrheit ist nur dem inneren Auge des Glaubens zugänglich. Die Wahrheit zeigt sich an ihren Wirkungen, an einem Zuwachs an gelebtem, freiem, mit anderen verbundenen Leben. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10), lautet die johanneische Version der Ansage vom gegenwärtigen Gottesreich.
Der Freudenbote des Reiches Gottes muss den Weg zum Kreuz gehen. Der Anfangstraum, aus dem wohl auch Jesus in der ersten Phase seines Auftretens lebte, wird buchstäblich durchkreuzt. Durch Erschütterung und Angst hindurch muss er lernen, dass sein gewaltsamer Märtyrertod der neue Zugang zum Reich Gottes ist. Deshalb wir die Auferweckung des Gekreuzigten zur zentralen Botschaft der nachösterlichen Gemeinde.
Der Glaube lebt aus diesem Paradox von Kreuz und Auferstehung. Abgrundtiefes Leid und höchste Seligkeit, Angst und Ergebenheit, Verlorenheit und Aufgehobensein in der Hand eines Anderen, Bedrängt werden und Aufleben in Hoffnung – beides gehört zusammen. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Aus dem weggefegten Anfangstraum wird ein völlig unerwarteter Neuanfang. Wie beim mythischen Vogel Phönix geschieht Neugeburt aus Tod und Asche. Der Glaube an den Gott, der die Toten auferweckt und der mitten in den irdischen Bedrängnissen Leben fördert und mehrt: Diese Spannungen und Paradoxien vereint der Glaube, den letztlich nur Gott schenken kann. Das Hingegeben-sein an die Stimme Gottes, es ist bis heute die Grundfigur biblischen Glaubens.

Die Gewissheit der Gottesnähe

Israel lebte seit Abraham aus einer Verheißung auf Zukunft hin. Der Prophet Joel schildert (Kap 3) das künftige Heil mit folgenden Sätzen: „1Danach aber wird es geschehen, /dass ich meinen Geist ausgieße über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, / eure Alten werden Träume haben / und eure jungen Männer haben Visionen. 2Auch über Knechte und Mägde /werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen.“
Menschen werden gleichberechtig Zugang haben zu jenem Tiefenwissen, das sich aus Träumen und Visionen speist.
Das Buch Numeri (Kap 12)  geht noch einen Schritt weiter: „6 .. und der Herr sprach: Hört meine Worte! Wenn es bei euch einen Propheten gibt, so gebe ich mich ihm in Visionen zu erkennen und rede mit ihm im Traum. 7 Anders bei meinem Knecht Mose. Mein ganzes Haus ist ihm anvertraut.8 Mit ihm rede ich von Mund zu Mund, von Angesicht zu Angesicht, nicht in Rätseln. Er darf die Gestalt des Herrn sehen.“
In den Abschiedsreden nach Johannes sagt Jesus: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ (Joh 14,9) Am Ende gestehen die Jünger: „Jetzt redest du nicht mehr in Rätseln.“ (Joh 16,29) Durch ihn, das lebendige Antlitz Gottes, haben sie direkten Zugang zu Gott. Der Traum vom Gottmenschen ist vielleicht der tiefste Traum, der in uns Menschen hingelegt ist. Wir Christen sagen: Dieser Traum ist in einem Menschen, Jesus von Nazareth, Wirklichkeit geworden.

Abschluss

Zum Abschluss ein Sprung ins 20. Jahrhundert: Es ist Hochsommer des Jahres 1949. Wir sind in Paris und sitzen auf der Terrasse des Cafés Dupont. Einer jungen Dame rutscht ein Kinderbuch, das sie vorher erstanden hat, aus der Hand. Es fällt zu Boden. Ein junger Mann am Nebentisch hebt es für sie auf. Dieser junge Mann ist Paul Celan, die junge Dame Diet Kloos, Studentin am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Es ist der Beginn einer knapp einjährigen Beziehung. Paul Celan, der Dichter aus Czernowitz, lebt seit einem Jahr in Paris. Seine Eltern wurden 1942 im Vernichtungslager Michailowka ermordet. Er selbst malocht bis zum Kriegsende in einem rumänischen Arbeitslager. Diet Kloos, die junge adrette Dame, ist ebenfalls von den Wirren des Krieges gezeichnet. Sie war selbst aktiv gegen die deutschen Besatzer im Widerstand, heiratete im November 1944 ihren Freund Jan Kloos, der ebenfalls im Widerstand aktiv war. Sie verliert ihn am 30. Januar 1945. Jan wurde wegen Spionageverdacht von den Nazis erschossen.
Ein Buch fällt zu Boden. Zwei Menschen begegnen sich durch Zufall. Ein paar Wochen später schreibt Paul Celan in einem Brief an Diet: „Über allem, schwebend und dabei doch so lastend, der Alltag… Und unter allem, verborgen, kaum hörbar, aber quälend auf unterirdische Art, der Traum von der Unendlichkeit, nie verwirklicht, kaum geahnt, unerreicht.“
Und dann, gegen Ende des Briefes, kleidet der Dichter aus der Bukowina seine Gedanken in ein Bild: „Im Grunde bin ich wohl auch einer, der, wenn er um die Straßenecke biegt, hofft einen kleinen Regenbogen zu finden, nicht größer als ein Ring. Zum Verschenken natürlich.“
Paul Celan, ein Regenbogen-Sammler. Der Regenbogen gilt in allen Religionen, auch in der jüdisch-christlichen Tradition als Symbol, das Himmel und Erde verbindet. Aber, das weiß der Dichter, das wissen wir alle: Den Regenbogen können wir nicht einfangen. Er steht für das Unverfügbare. Er erinnert uns an die Unverfügbarkeit Gottes. Er ist wie ein flüchtiges Denkmal in die Wolken gesetzt. Das von allen bewunderte Naturphänomen ist letztlich ganz einfach zu erklären: Die Sonne im Rücken strahlt Licht auf eine vor uns liegende Regenwand. Das weiße Tageslicht lässt sich in den unzähligen Wassertropfen wie in einem Prisma brechen und zeigt sich für Augenblicke in seinen sieben reinen Spektralfarben. Licht lässt sich brechen. Die Wassertropfen helfen dabei.
Die Präsenz Gottes scheint auf in unzähligen Menschen, die wie Wassertropfen diesem unbegreiflichen und geheimnisvollen Gott Gelegenheit geben, sich in seiner Farbigkeit zu zeigen. Wir alle sind solche Prismen für Gottes Licht.
Im Hören auf unsere Träume und Intuitionen und indem wir uns ehrlich unserer Tageswirklichkeit stellen, werden wir erst zu weisen, zu wirklichen Menschen. Wir werden zu Regenbogensammlern, zu farbigem Licht, in dem sich das ewige Licht bricht und zeigt. Wer glaubt, hofft und liebt, hat das Licht des Lebens.

 

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