„Transsubstantiation“
Impuls zum Liturgietag St. Michael – 10. März 2018
Die Grundgestalt und der Grundgehalt der Eucharistie
Thomas von Aquin umschreibt die Grundgestalt und den Grundgehalt der Eucharistie in seiner Magnificat-Antiphon zum Fronleichnamsfest:
„O sacrum convivium, in quo Christus sumitur ..”
“O heiliges Gastmahl, in dem Christus genossen wird”
Die Eucharistie ist ein Sakrament: ein äußeres Zeichen, das auf eine innere Wirklichkeit hinweist und sie enthält. Die Grundgestalt ist ein Mahl, das in der Tradition der biblischen Gastmähler und der Mahlpraxis Jesu steht. Bei dieser Zeichenhandlung ist jede Engführung auf die dingliche Realpräsenz Jesu in den Gaben von Brot und Wein zu vermeiden. Der ganze Mahlzusammenhang, das Miteinander der Personen, das Teilen der Speisen und das gemeinsame Essen und Trinken, sind Zeichen.
Es wäre sonst, als ob man eine Geschichte des Fußballspiels schreiben wollte und dabei nur über die Beschaffenheit des Balls, sein Material, seine Größe, die Nähte, die Farbe sich ausließe und die Spieler, die Zuschauer, die ganze Atmosphäre des Spiels außer Acht ließe.
Neben der Zeichenbedeutung des Mahls müssen auch die Gaben von Brot und Wein als Zeichen bedacht werden: Brot ist ein Grundnahrungsmittel und bewahrt vor dem Tod. Wein ist Zeichen des Festes, der Freude und Ausgelassenheit. Im eucharistischen Mahl enthalten die Gaben Christus, sie sind Realsymbole seiner Gegenwart. Die Eucharistie ist ein Gedächtnismahl: Vergegenwärtigung von etwas Vergangenem, das in der Gegenwart wirksam bleibt, weil es er-innert wird; ein Mahl, in dem Jesu Heilswerk, verdichtet in seinem Tod, gedacht wird und in dem er als der Auferstandene in der Tischgemeinschaft gegenwärtig wird. Der Inhalt des Gedächtnisses ist Jesus selbst. Der Gehalt des heiligen Gastmahls ist der gegenwärtige Christus (Realpräsenz).
Das ist unsere Themafrage heute: Lässt sich die Mahlhandlung der Eucharistie als objektive, reale Vergegenwärtigung ihres Stifters verstehen und in verantwortbarer Weise aussagen? Ist die Realpräsenz Jesu nur symbolistisch zu verstehen – als Hinweis auf den letztlich abwesenden Christus – oder als bloß subjektive Erinnerung an ihn? Oder macht diese Feier ihn wirklich präsent: als Herrn des Mahles und als Speise für das ewige Leben?
Nach dem Konzil von Trient (1545-1563) ist Christus in den Gaben von Brot und Wein „vere, realiter und substantialiter“ gegenwärtig, auch wenn die Gaben, die wir wahrnehmen, die Gestalt von Brot und Wein behalten.
Diesem definierten Glaubensdogma stellen wir uns in drei Schritten:
1) Das Neue Testament wird auf sein Verständnis der Realpräsenz Christi in der Eucharistie befragt.
2) Dann werden wir skizzenhaft die dogmengeschichtliche Entwicklung anschauen.
3) Zum Abschluss werden wir uns neueren theologischen Deutungsversuchen zuwenden.
Sakramentaler Realismus des Herrenmahls nach dem NT
Den Einsetzungsberichten des NT ist trotz mancher Unterschiede eines gemeinsam: Im Stiftungsgedächtnis werden die Speisen von Brot und Wein als Leib und Blut Christi gedeutet. „Das ist mein Leib“ „Dies ist mein Blut des Bundes“ ohne Wiederholungsbefehl ((Mk/Mt). „Dieser Trank ist der neue Bund in meinem Blut“ mit Wiederholungsbefehl bei Lk/Paulus. Mit den beiden unterschiedlichen Varianten wird auf die unterschiedlichen Bundestheologien angespielt: am Sinai als blutiges Opfer( Ex 24,8) und bei Jeremia (31,341-34) als Verheißung eines erneuerten – unblutigen – Bundes, angespielt.
Das Verb „ist“ (griech. „estin“, lat. „est“) wird gewöhnlich als Beweis für die Identität von Subjekt und Prädikat angesehen. Allerdings ist zu bedenken: Im Aramäischen, das Jesus gesprochen hat, gibt es kein Wort, das dem griechischen „estin“ entspricht. Das wird manchmal als Einwand gegen ein realpräsentisches Verständnis angeführt. Dagegen ist zu bedenken: Das „estin“ ist urchristliches, normatives Glaubenszeugnis. Die Schreiber waren Juden und haben die Worte Jesu so im Griechischen überliefert.
Auch ist aufschlussreich, dass es in der gesamten Sprechweise der damaligen biblischen Welt den symbolischen Ausdruck „jemandes Fleisch essen, bzw. Blut trinken“ nur im Sinn von „jemand verfolgen“ gibt. Das kann hier ausgeschlossen werden.
Für ein realistisch-sakramentales Verständnis der Abendmahlsberichte sprechen zwei Überlegungen: In der semitischen Anthropologie bezeichnen Brot und Wein nicht Teile, sondern immer den ganzen Menschen. Für Paulus ist die „koinonia“ (Teilhabe, Gemeinschaft an der Wirklichkeit Christi) mit Christus im Herrenmahl, in der Realpräsenz in der Gemeinde gegeben (vgl 1 Kor 10,16 ff; 11,27). „Der Leib“ meint bei ihm die eucharistischen Gaben, „Leib“ die versammelte Gemeinde. In beidem ist der Herr wirklich da.
Bei Johannes fehlt zwar im Abendmahlsaal ein expliziter Einsetzungsbericht, doch haben wir es bei ihm, wie die Brotrede in Joh 6 zeigt, mit einer sehr reflektierten Eucharistielehre zu tun, die sich der Frage stellt, wie die Gegenwart Christi zu verstehen sei.
Ausgangspunkt ist die Erzählung von der großen Speisung (Joh 6,1-15) und das typisch johanneische Missverständnis der Hörer im Anschluss daran. Zwischengeschaltet ist die Erzählung von Jesu Gang auf dem Wasser und seiner Selbstoffenbarung vor den Jüngern (6,16-21). Die Leute missverstehen Jesus, weil sie meinen, er sichere ihnen das irdische Brot. Er spricht von einem anderen Brot, das nur Gott geben kann und damit auch von einem menschlichen Hunger, den irdisches Brot nicht stillen kann (6,26 f). Er spricht von einem „geistlichen Essen“, d.h. der Aufnahme des Sohnes im Glauben. Geber dieses „Brotes“ ist der Vater (6,32). Jesus selbst ist das „Brot des Lebens“, das sich als Selbstaussage Jesu in die Reihe der „Ich bin“ Worte einreiht. Dieses Brot wird „gegessen“, indem man zu Jesus kommt und an ihn glaubt. Dieser Glaube verbürgt „ewiges Leben“ (6,40). Außer dem geistlichen Essen im Glauben gibt es auch ein sakramentales, realistisches Essen. Geber ist Jesus; das Brot, das er gibt, ist sein „Fleisch“ („sein Blut“).
Hier taucht das griech. Wort „sarx“ auf, welches das zentrale Geheimnis der Menschwerdung (Joh 1,14: Das Wort ist Fleisch geworden) umschreibt und deutet. Gott hat in Jesus die ganze materielle Wirklichkeit angenommen. Jeglicher Materie-Geist-Gegensatz ist überwunden. So konnte der frühe Kirchenvater Tertullian das Wortspiel prägen: „Caro salutis cardo“.
Das „Fleisch“, das gewöhnlich die Sprache der Angst und Begierde spricht, spricht hier die Sprache der Liebe und Hingabe. Unser Fleisch nimmt sein Fleisch auf. Es lernt ebenfalls die Sprache Gottes, die Sprache der Liebe zu sprechen. Die Zuhörer Jesu in Kapharnaum verstehen das in einer grob sensualistischen Weise. Dieser grobe Realismus wird oft „kapharnaitisches“ Missverständnis genannt. Doch nicht physisches Fleisch und reales Blut sind gemeint. Jesus korrigiert selbst in 6,63: „Der Geist es, der lebendig macht. Das Fleisch nützt nichts.“
Deutlich wird allerdings auch, dass sich die johanneische Deutung der Eucharistie von einem rein symbolistischen Verständnis unterscheidet. In 6,55 heißt es: „Mein Fleisch ist eine wahre Speise und mein Blut ist ein wahrer Trank“. Es geht also um wirkliches Essen, aber nicht um das Essen eines vergänglichen Stückes Fleisch, sondern um das Sich-Einverleiben, um das geistige Assimilieren der Christuswirklichkeit. Das Essen und Trinken ist Ausdruck und Verleiblichung der glaubenden Einswerdung mit Christus. Damit wird ein sakramentaler Realismus begründet, der sich gegen ein grob realistisches Verständnis abhebt.
Daran kann sich die Frage anschließen: Warum braucht es eigentlich neben dem geistlichen Essen überhaupt das sakramentale Essen? Beinhaltet es eine stärkere Präsenz Jesu? Bringt das Sakrament mehr als das Wort?
Diese sehr grundsätzliche Frage muss man auf einer personalen, anthropologischen Eben beantworten: Die Liebe, ob zwischen Mann und Frau oder Eltern und Kindern, kann sich im Wort ausdrücken. Sie drängt aber über das Wort hinaus zur Verleiblichung. In einem Kuss und in einem Satz wie „Ich hab dich lieb“ geht es um die gleiche Liebe, nur wird sie verschieden ausgedrückt und gestuft. Das wird auch darin deutlich, dass das Wort Gottes aller Kreatur verkündet werden soll, die Sakramente werden nicht allen gereicht: Sie sind Symbole des angenommenen Wortes Gottes. Ihr Empfang drückt die Antwort des Glaubenden auf das Wort Gottes aus.
Die Lehre von der Realpräsenz in der theologischen Tradition
Kirchenväter
Als die Jesusbewegung aus dem jüdisch-palästinischen Raum in die von hellenistischer Geistigkeit geprägte Welt eintrat, musste die Eucharistielehre in griechischen, philosophischen Formen interpretiert werden. Dabei bot sich das platonische Urbild-Abbild-Schema an. Nach Platons Höhlengleichnis ist die irdische Welt Schattenriss und Abbild objektiver metaphysischer Wirklichkeit, der Ideen. Das Abbild macht das Urbild, wenn auch unvollkommen, präsent. Der Mensch ist dazu bestimmt, von den materiellen Abbildern in einem Stufendenken zur Spitze der Seins-Pyramide, den Ideen aufzusteigen.
Christus wird in dieser Konzeption das Realsymbol Gottes. Er ist Prototyp der Sakramentalität. Wer ihn sieht, sieht den Vater (Joh 14,9). Der erhöhte Herr, das Urbild, ist in der Eucharistiefeier, dem Abbild, gegenwärtig. Er kommt in Raum und Zeit in der Mahlgemeinschaft zum Erscheinen. Die Beziehung zwischen Ur- und Abbild ist durch den Heiligen Geist vermittelt. Daher ist in der Ostkirche die Eucharistielehre aufs engste mit der Lehre vom Heiligen Geist verbunden. Bis heute werden in dieser Tradition nicht die Einsetzungsworte als Wandlungsworte verstanden, sondern die sog. Epiklese, die Herabrufung des Heiligen Geistes über die Gaben von Brot und Wein. Das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) hat mit seiner Liturgiereform wieder die volle Form der Epiklese vor die Einsetzungsworte aufgenommen („Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes …“). Damit wird deutlich: Das eigentliche Urbild der Eucharistie ist die trinitarische Gemeinschaft, in die wir durch das Sakrament im Glauben aufgenommen sind. Die Eucharistie ist Realsymbol unserer Teilhabe an Jesu Gemeinschaft mit und in Gott.
Mittelalter
Als das Christentum die Welt nördlich der Alpen erreichte, war im germanisch-fränkischen Raum eine neue Übersetzung nötig. Dort konnte man das Verhältnis von Urbild und Abbild im Sinne eines sakramentalen Realismus nicht mehr nachvollziehen. Es kam zu heftigen Abendmahlsstreitigkeiten. Die verschiedenen Positionen schwankten zwischen übertriebenem Realismus (Das Fleisch Christi, das gekreuzigt und begraben wurde, ist wahrhaft das Sakrament seines Fleisches), gemäßigtem Symbolismus bis zum rein geistigen Symbolismus und Spiritualismus (Es gibt nur eine geistige Erinnerung an Leib und Blut Jesu, kein Gegenwärtigsetzen dieser Wirklichkeit).
Man war nicht mehr in der Lage, Sakrament und bezeichnete Wirklichkeit unvermischt und ungetrennt zusammenzudenken. Entweder man trennte (Symbolismus) oder man vermischte (Kapharnaismus).
Das Problem verlangte nach einer theologischen Klärung, die sich mit der Wiederentdeckung der Schriften des Aristoteles im 12. Jahrhundert anbot. Nach Aristoteles ist alle Wirklichkeit „hylä“ und „morphä“, „materia“ und „forma“: also Stoff und Gestalt. Hier kam der Begriff „substantia“ ins Spiel. Er bedeutet dem Wortsinn nach „das Darunterstehende“, die eigentliche Wirklichkeit hinter und in allen äußeren Erscheinungen („Akzidentien“), z.B. ich verändere mich im Lauf des Lebens, doch ich bleibe derselbe. Meine Substanz bleibt, wenn sie auch von allen akzidentiellen Veränderungen mitbetroffen ist.
Aufgrund der Gestalt urteilt die Vernunft und schließt auf die Substanz. Ein Tisch kann vier Beine haben oder drei, er kann lang oder rund, aus Holz, Metall oder Plastik sein, die Vernunft urteilt: Das ist ein Tisch.
Dieser Ansatz schien geeignet, um die eucharistische Realpräsenz verständlich zu machen. Im Jahre 1150 taucht zum ersten Mal der Begriff „transsub-stantiatio“ auf. Auf dem 4. Laterankonzil 1215 findet er Eingang in die lehramtliche Verkündigung.
Thomas von Aquin hat dann in aristotelischen Denkbahnen diese Lehre vertieft und ausgebaut. Substanz ist nach ihm als vorphysikalische, metaphysische Kategorie aufzufassen. Die Substanz ist den äußeren Erscheinungen vorgeordnet. Sie ist das Sein des Seienden. Durch die Unterscheidung von Substanz und Akzidens war es möglich, dass Thomas von einer „conversio substantialis“ sprechen konnte. Die eigentliche Wirklichkeit des Brotes, seine Substanz, werde in die ganze Wirklichkeit Christi verwandelt, während das sinnlich wahrnehmbare Brot unverändert bleibt. Diese Verwandlung der Substanz von Brot und Wein nennt er „transsubstantiatio“. Was bleibt, sind allein die Akzidentien, die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften des Brotes, doch sie werden nicht zu Akzidentien des Leibes Christi. Sonst könnte man sagen. „Der Leib Christi schmeckt so und so.“ Thomas verändert damit die aristotelischen Denkbahnen aus einem Glaubensanliegen heraus. Nach Aristoteles war eine Trennung von Substanz und Akzidenz undenkbar. Man kann sich z.B. an einem roten Auto nicht vorstellen, dass das Rot bleibt, wenn das Auto nicht mehr ist. Das Rot muss einen Träger haben, dem es anhaftet. Ist der ursprüngliche Träger nicht mehr da, dann verschwindet auch die akzidentelle Wirklichkeit, in diesem Fall das Rotsein.
Bei der Eucharistie denkt Thomas genau umgekehrt. Die Akzidentien bleiben ohne ihren Träger zurück und hängen auch nicht am Leib Christi. Der Leib Christi ist gegenwärtig, solange die Akzidentien des Brotes erkennbar sind.
Hier wird klar: Es geht nicht um eine naturphilosophische, sondern um eine unsichtbare Wirklichkeit, die sich dem Greifbaren entzieht. Die sinnliche Erfahrung nimmt Brot wahr, was der Intellekt durch Einsicht bestätigt. Der Glaube informiert und erleuchtet den Intellekt, so dass dieser unter den sinnlich wahrnehmbaren Gestalten die Wirklichkeit im Glauben erkennt.
Reformation
Die in aristotelischen Kategorien gedeutete Realpräsenz war im Lauf der Zeit oft naturphilosophisch missverstanden worden. Auch waren im ausgehenden Mittelalter zahlreiche Einseitigkeiten und abergläubische Praktiken zu beobachten, die den Reformatoren ein Dorn im Auge waren. Die eucharistische Feier war zu einer Art Zauberritus verkommen. Die Reaktion der Reformatoren bestand darin, der stark verdinglichten Betrachtungsweise etwas Dynamisches, am ursprünglichen Sinn Orientiertes entgegenzusetzen. Im Gegensatz zu Zwingli stellte Luther die Realpräsenz nicht in Frage, doch lehnte er die Transsubstantiationslehre entschieden ab. Stattdessen vertrat er die Konsubstantiationslehre, die besagt: Der überall gegenwärtige Christus verbindet sich durch sein Wort mit Brot und Wein. Die Substanz wird also nicht verwandelt. Vielmehr schenkt sich Christus mit und unter den Gestalten von Brot und Wein. Die Eucharistie wurde wieder als Nahrung auf den Empfang hin ausgerichtet. Ohne Empfang macht sie keinen Sinn. Eucharistische Realpräsenz gibt es nur während des Abendmahls, nicht mehr unabhängig davon.
Für Zwingli ist die Realpräsenz auch nicht mehr „in usu“ gegeben. Die eucharistischen Gestalten sind nur Zeichen für die Gegenwart des Herrn, können diese aber nicht wirklich mitteilen. Sie weisen auf eine von ihnen getrennte Wirklichkeit hin wie ein Verkehrszeichen.
Für Calvin wiederum gibt es keine Gegenwart Christi selbst mehr. Vielmehr geschieht nur eine Mitteilung seiner Gaben und seiner Gnade im Genuss des Abendmahls.
Trient
Das Konzil von Trient hatte das Anliegen, die eucharistische Realpräsenz sicherzustellen. Jegliche Abschwächung oder Relativierung sollte abgewehrt werden. Allerdings hatte das Konzil kein anderes Erklärungsmodell als die scholastische Transsubtantiationslehre. Eine Sicht auf die Eucharistie als umfassendes, personales Realsymbol blieb versperrt. Die Reformatoren konnten so nicht überzeugt werden, da sie ja gerade die Tendenz zur Verdinglichung aufgrund dieser Lehre anklagten. Wir sehen heute in der Lehre von der Transsubstantiation nur eine mögliche Einkleidung des Glaubens an die Realpräsenz, die vor allem die bleibende Gegenwart Christi herausstellen kann.
Der reformatorische Einspruch bestand sicher zu Recht, doch schossen sie auch über das Ziel hinaus, weil sich daraus letztlich eine Leugnung des eucharistischen sakramentalen Realismus ergab.
Die Absicht des Konzils war, jede symbolistische Deutung der eucharistischen Realpräsenz abzuwehren. Inhaltlich ging es um die Hervorhebung der Realpräsenz als bleibende und nicht nur „in usu“. Zugleich sollte die eucharistische Realpräsenz als spezifische Präsenzweise gegenüber der Präsenz Jesu in den anderen Sakramenten hervorgehoben werden.
Deutungsversuche im 20. Jahrhundert
Die Theologie des 20. Jahrhunderts erkannte das Ungenügen der Transsubstantiationslehre, um die Realpräsenz Christi heute verständlich zu machen. Sie suchte nach neuen Denkmodellen, ähnlich wie man im Mittelalter einen neuen Denkrahmen suchte.
Das moderne Denken sieht – spätestens seit der Aufklärung – im Unterschied zum mittelalterlich-statischen Ordo-Denken viel mehr das Prozesshafte, das naturwissenschaftlich Machbare, das Funktionale, Geschichtliche und Personale. Philosophisch gesprochen: Wirklichkeit wird nicht mehr substanzontologisch verstanden, sondern eher relational. Eine Wirklichkeit wird erst in Beziehungen, in einem Bezugsrahmen sie selbst. Der Mensch „ist“ nur in Bezogenheit auf Gott und die Mitmenschen. Da heißt es eine dialogische, kommunikative Denkform zu entwickeln, weil das Relationale zum Menschsein gehört. Daraus entwickelt sich eine personale Sakramententheologie. (Vgl auch Leonardo Boff: Sakrament der Weihnachtskerze, des Zigarettenstummels usw.)
Ein Kuss, ein Blumenstrauß sind eben nicht nur Sachen oder physiologisch-chemisch beschreibbare Verhaltensweisen, sondern sie haben eine personale Signifikanz. Man spricht in diesem Zusammenhang von Transsignifikation. Die Blumen, die das Kind der Mutter zum Muttertag schenkt, bezeichnen nicht mehr sich selbst, sondern die Liebe des Kindes zur Mutter.
Wenn schon im zwischenmenschlichen Bereich sinnstiftende Absichten Wirklichkeit verwandeln kann, dann gilt das in gesteigertem Maß von göttlicher Intentionalität. Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Lokal- und Personalpräsenz: In einer überfüllten U-Bahn sitze ich vielleicht eingepfercht zwischen vielen fremden Leuten, ich bin ihnen lokal nahe. Wenn ich dabei Bilder auf What’s App von meiner Schwester irgendwo aus dem Nahen Osten bekomme, dann ist sie mir personal nahe, viel näher als die Leute rings um mich.
Um diese personale Präsenz geht es in der Eucharistie. Natürlich setzt das voraus, dass man im Glauben schon eine personale Beziehung zu Christus hat. Nur dann kann mir die eucharistische Gabe seine personale Präsenz mitteilen.
Die Sakramente sind Zeichen der Selbstmitteilung Gottes, sie sind eine Begegnungshandlungen, in denen Gott dem Menschen nahekommen will und die Antwort des Glaubens erwartet. Dieser Appell Gottes in der Zeichenhandlung, der Geschenkcharakter seiner Zuwendung, das Bezogensein aller Sakramente auf bestimmte Lebenssituationen, die dialogische Struktur der Sakramente, die der Grundstruktur der Offenbarung als Wort und Antwort entspricht – all diese Aspekte sind in der Transsubstantiationslehre nicht genügend berücksichtigt. Außerdem muss die Lehre von der Präsenz Christi eingebettet sein in den rituellen Mahlzusammenhang.
Eine Eucharistietheologie für heute müsste „Wandlung“ in einem umfassenden Sinn zum Ausdruck bringen. Es geht um die Verwandlung des Menschen vom kleinen isolierten Ego hin zur Hingabebereitschaft Christi inmitten der Gemeinschaft der Glaubenden. Und es geht – noch umfassender- um die Verwandlung der ganzen Welt, die wir feiern und erhoffen. Unsere irdische Wirklichkeit wird in eine neue Wirklichkeit getaucht. Oder besser: Unsere wahre Wirklichkeit soll ans Licht kommen, dass wir alle als Menschen in Christus geschaffen sind und zur Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes gehören. Jesus hat den universal anzutreffenden Kommunikationszusammenhang eines Festmahls zum Zeichen seiner Gegenwart gemacht. Ein gemeinsames Mahl mit allem, was dazugehört, erhält eine Tiefe, die nur der Glaube erahnen kann.
Alternativ und ergänzend zu dem Begriff Transsubstantiation wird heute Transsignifikation und Transfinalisation gebraucht. Die bezeichnete Wirklichkeit, das „signum“, wandelt sich durch das Wort Gottes. Brot steht jetzt für geistliche Nahrung. Damit ändern sich der Sinn und die Hinordnung der Dinge. Ziel,„finis“, ist nicht die leibliche Sättigung, sondern das Einswerden mit Christus und untereinander.
Während ein menschlicher Geber einer Gabe nie ganz identisch werden kann mit seiner Gabe – ein Liebender nie ganz identisch mit seinem Liebesbrief –, vermag es Gott, sich ganz in der eucharistischen Gabe zu verschenken. Die neu bezeichnete Wirklichkeit ist eine im Zeichen präsente Realität. Der Herr ist im Zeichen gegenwärtig und schenkt uns Anteil an seinem Leben. Brot und Wein bleiben in ihrer physischen Wirklichkeit unverändert. Gewandelt wird das eigentliche Sein dieser Dinge, ihre Bestimmung im Sinngefüge der Schöpfung.
Vielleicht sind die Bezeichnungen Transsignifikation und Transfinalisation noch immer zu sehr eingeengt auf die eucharistischen Gaben. Der ganze Mahlzusammenhang muss im Blick sein. Die ganze versammelte Gemeinde ist einbezogen in den Wandlungsvorgang. Auch muss immer der enge Zusammenhang mit dem Wortgottesdienst, der dem eucharistischen Teil vorausgeht, beachtet werden. Es geht im christlichen Glauben und besonders in den Sakramenten immer um Gemeinschaft mit Gott, die uns im Wort angeboten wird. Wenn das Wort von uns angenommen wird, hat es sein Ziel erreicht. Die Einsetzungsworte sind keine Zauberworte, sondern Anrede an uns alle. Die Mahlfeier, das gemeinsame Essen und Trinken formt uns zum Leib Christi. In seinem Geist sind wir eins. Die Präsenz Christi ist Wirkung der performativen – wirklichkeitsverändernden, wirklichkeitsschaffenden – Kraft seines Wortes, das vom Priester nicht in eigenem Namen, sondern Namen Christi als des Hauptes der Kirche („in persona Christi capitis“) gesprochen wird.
Hier wird durch das Wort Gottes ein kleines Stück Welt verwandelt. Und indem wir dieses verwandelte Brot gläubig essen, wandelt sich unser Herz. Mit diesem Sakrament verständigt sich die Gemeinde über ihren Glauben und feiert, dass sie Gemeinschaft mit Gott hat.
Die gewandelten Gaben bleiben Zeichen der eucharistischen Gegenwart. Denn über sie wurden die Herrenworte ein für allemal gesprochen. Sie verweisen auch immer auf den Mahlzusammenhang, können Kranken und Sterbenden gebracht werden. Die Aufbewahrung im Tabernakel tut kund, dass Christus uns nicht verlässt. Die Gemeinde hütet ihr eigenes Mysterium, denn Christus wohnt wirklich in ihrer Mitte. Auch die Prozession an Fronleichnam tut dies in aller Öffentlichkeit kund. Sie soll zeigen: Christus will jeden Tag hinausgetragen werden in unser Leben, in unsere Welt. Dort erst zeigt sich, ob wir die geistliche Speise wirklich im Glauben empfangen haben und als „anderer Christus“ („alter Christus“) in der Welt leben.
Themen, die fortgesetzt werden können:
O sacrum convivium,
in quo Christus sumitur:
recolitur memoria passionis eius (erneuert wird das Gedächtnis seines Leidens: Opfer)
mens impletur gratia. (erfüllt wird der Geist mit Gnade: Wirkung)
et futurae gloriae nobis pignus datur (und gegeben wird das Unterpfand künftiger Herrlichkeit)